Redebeitrag von der Kundgebung am 18.03.2025 vor der JVA Preungesheim
Liebe Genoss*innen,
heute, zum internationalen Tag der politischen Gefangenen möchten wir über einen Repressionsfall reden den einige vielleicht mehr, andere weniger mitbekommen haben. Seit einigen Wochen schmückt ein großes Banner das Klapperfeld in der Frankfurter Innenstadt in Solidarität mit einigen antifaschistischen Genoss*innen die in letzter Zeit verhaftet wurden. Der untere Teil des Banners trägt die Aufschrift: „Solidarität mit den griechischen Anarchist*innen Nikos, Marianna, Dimitris und Dimitra. Kyriakos Xymitiris Parón“. Über diese möchten wir heute informieren und eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse und Entscheidungen liefern die diese, unsere anarchistischen Genoss*innen, in die Kerker des griechischen Staates geführt haben und Kyriakos in die Reihe der vielen Genoss*innen die für den politischen Kampf ihr leben ließen.
Am 31. Oktober 2024 kam es um die Mittagszeit im Athener Stadtteil Ambelókipi zur Explosion eines selbstgebauten Sprengsatzes der der anarchistische Genosse Kyriakos Xymitiris zum Opfer fiel und bei der die Genossin Marianna, die sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt, schwer verletzt überlebte. In den darauf folgenden Stunden und Tagen wurde klar, dass die Genoss*innen den Weg des bewaffneten Kampfes gewählt hatten und ein Fehler zu einer verfrühten Explosion geführt hatte. Nach einem zweiwöchigen Aufenthalt Mariannas auf der Intensivstation wurde sie in das Frauengefängnis von Korydallós überführt. Doch dazu später mehr. Im Zuge der Ermittlungen wurden in den folgenden Tagen und Wochen vier weitere Genoss*innen verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Dimitra, Dimitris, Nikos und ein weiterer Genosse. Darunter zwei von ihnen, bei denen es lediglich ausreichte, dass in der Wohnung eine Plastiktüte, also ein beweglicher Gegenstand, mit ihren Fingerabdrücken gefunden wurde.
Zunächst möchten wir zu einigen der betroffenen Personen ein paar Worte sagen: Wer sind diese Genoss*innen und wo kommen sie her? Beginnen wir mit Kyriakos. Er lebte einige Jahre in Berlin wo er teil des Meutereikollektivs war, einer selbstverwalteten, später besetzten und mittlerweile geräumten Kneipe in Kreuzberg. In Berlin lernte er auch Marianna kennen, die ebenfalls aus Athen stammt und mit der er seither unzertrennlich verbunden war. Ein paar Worte aus dem Nachruf seiner Genoss*innen von der Meuterei beschreiben gut was für ein Mensch Kyriakos war:
„Wie bei Vielen von uns hat auch seine Meutereikarriere als Stammgast, trinkend am Tresen, begonnen. Vom Stammgast wurde er zum Vertrauten, zum Komplizen, zum Mitstreiter, zum Kollektivista und geliebten Freund. Kyriakos war ein liebenswerter und offener Mensch, der es geschafft hat, viele Menschen zu verbinden und miteinander bekannt zu machen. Das hat oft dazu geführt, dass die Bar an seinen Schichten so voll war, dass man nicht mehr wusste, wohin mit sich. Er hat sich keiner Diskussion oder Auseinandersetzung entzogen, auch wenn das sicherlich auf dem Meutereiplenum mit einem Mix aus Deutsch, Englisch und Denglisch nicht immer einfach für ihn war. Trotzdem war er bei allem mit Herzblut dabei. Wir haben zusammen gearbeitet, getrunken, diskutiert, demonstriert, alberne Videos gedreht, getanzt und vor allem hat er uns sehr oft zum Lachen gebracht.“
Nach ihrer Rückkehr nach Athen waren er und Marianna weiter in der anarchistischen Bewegung aktiv. Hierzu einige Worte vom Athener Solidaritätsplenum für gefangene, untergetauchte und verfolgte Militante:
„Marianna und Kyriakos sind seit Jahren ununterbrochen in Projekten der Gefangenensolidarität, in der internationalistischen Antikriegsbewegung, im Kampf für den palästinensischen Widerstand, in Aktionen zur Verteidigung des Viertels Exarchia, in Kämpfen an den Universitäten, in der Verteidigung von befreiten Räumen, in besetzten Häusern und in jeder sozialen und klassenkämpferischen Bewegung aktiv. Sie sind ihnen verpflichtet, immer mit dem Willen, sie gemeinsam voranzutreiben und ihr revolutionäres Potential zu erkunden. Sie haben den vielfältigen Kampf für die soziale Befreiung nicht nur theoretisch verteidigt, sondern sie sind seine wahrhaftigste Verkörperung. Sie haben sich mit allen Mitteln gegen die Welt der Macht, des Staates, des Kapitals, des Rassismus, des Patriarchats auf die Seite der Unterdrückten und der Aufständischen gestellt, immer mit der Vision einer besseren Welt, einer Welt der Solidarität, der Gleichheit und der Freiheit.“
Es gibt noch viel mehr über Kyriakos zu sagen, vieles ist in den letzten Monaten geschrieben worden und vieles wurde noch nicht gesagt, doch dafür reicht die Zeit heute nicht aus. Wenden wir uns also wieder den gefangenen Genoss*innen zu, denen der heutige Tag gewidmet ist.
Nach ihrer Festnahme wurde Marianna im Krankenhaus isoliert und noch in den ersten Stunden wurden ihr unter Aufsicht des Krankenhauspersonals Blut und Fingerabdrücke abgenommen obwohl sie bewusstlos war und sich somit nicht wehren konnte, geschweige denn vernehmungsfähig war. Zwei Wochen lang wurde sie auf der Intensivstation des Evangelismós Krankenhauses in Athen unter der Ständigen Bewachung und den erniedrigenden Kommentaren zahlreicher Anti-Terror Bullen behandelt. Auch die Staatsanwältin zögerte nicht, in ihre medizinische Behandlung einzugreifen. Sie versuchte, die Gefährtin unter Druck zu setzen, um eine Aussage zu erzwingen, obwohl Mariannas physischer und psychischer Zustand dies eindeutig nicht zuließ. Nur einen Tag nach ihrer zweiten Operation wurde sie mit frisch genähten und offenen Wunden im Gesicht in das Frauengefängnis Korydallós verlegt.
Dort gibt es weder ausreichend medizinische Versorgung noch irgendeinen Zugang zu angemessener Behandlung. Bis heute dauert diese Folter an. Nach ihrer Ankunft im Knast konnte sie weder gehen noch sich vollständig auf den Beinen halten. Ihr war schwindlig und sie hatte Schmerzen von der Narkose und der Operation, der sie sich am Vortag unterziehen musste. Die notwendige medizinische Versorgung und die Einnahme von Medikamenten werden ihr bis heute versagt, obwohl sie noch nicht vollständig genesen ist. In ihrem Kniegelenk hat sich eine Flüssigkeit angesammelt, die es ihr unmöglich macht, es richtig zu beugen, zu gehen oder ohne Stütze zu stehen. Ein Hämatom im Gehirn, dessen angemessene Untersuchung von den behandelnden Ärzten bis heute nicht eingeleitet wurde, birgt das Risiko bleibender Schäden und verursacht Schwindel und neurologische Probleme. Funktionsstörungen in einem Auge führen dazu, dass sie es nicht richtig schließen kann und der ständigen Gefahr von Infektionen ausgesetzt ist. Sie hatte bereits Infektionen an ihrem Auge sowie an den Nähten im Bereich des Thorax. Vom Gefängnisarzt wird dies damit kommentiert, dass sie nur dann eine Untersuchung erhalten könne, wenn sie einen epileptischen Anfall erleiden würde. Das ist Folter und alle daran Beteiligten sind Folterknechte!
All dies erinnert uns an die zahllosen Morde und Folterungen von Gefangenen aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung. An die zahllosen Migrant*innen, die jeden Tag in Haftanstalten und auf Bullenstationen weltweit ermordet und gefoltert werden. Einmal mehr wird klar, dass der Staatsapparat sich an all jenen rächt, die sich ihm widersetzen, Widerstand leisten und sein Macht- und Gewaltmonopol herausfordern.
Und doch lässt sich Marianna nicht entmutigen und führt den politischen Kampf entschlossen fort. Gemeinsam mit Dimitra, die ebenfalls in dem Verfahren verhaftet wurde, teilt sie sich eine Zelle und die beiden schreiben politische Texte und reden regelmäßig auf politischen Veranstaltungen über das Knasttelefon. So schon in Chile, Berlin, Frankreich und natürlich Griechenland. Am 28. Februar verweigerten sie zusammen mit 181 weiteren Gefangenen im Frauenknast den mittäglichen Einschluss und blieben gemeinsam im Gefängnishof wo sie ein Banner mit der Aufschrift „Ich habe keinen Sauerstoff – Der Frühling endete in Tempi“ aufhingen. Damit machten sie auf die Proteste in ganz Griechenland und Weltweit, auch hier in Frankfurt, aufmerksam die sich gegen die korrupte Mitsotakis Regierung und ihre Versuche das Zugunglück bei Tempi aus dem Jahr 2023 mit 57 Toten zu vertuschen richten.
Die politische Haltung denen sich alle in dem Verfahren betroffenen verpflichtet fühlen macht vor den Gefängnistoren keinen Halt. Sie richtet sich gegen die immer weiter verbreitete Verarmung der gesellschaftlichen Basis durch Inflation und militärische Aufrüstung. Gegen die Angst vor der Arbeitslosigkeit und die Einsparungen im Gesundheitssystem bis es zum Kollaps kommt. Gegen einen Staat der nur noch durch ein autoritäres Dogma von „Recht und Ordnung“ den aktuellen Zustand der sich zuspitzenden Misere aufrecht erhalten kann. Gegen die Massenmedien die weder zum absehbaren Zugunglück von Tempi, noch zu dem Genozid an der palästinensischen Bevölkerung noch zu den hunderten Migrant*innen die 2023 bei Pylos ertranken oder jenen tausenden die in den griechischen Lagern eingesperrt sind, etwas zu sagen haben. Lediglich eine weitere Schlagzeile im gesellschaftlichen taumel in den drohenden globalen Krieg.
Die anarchistischen Genoss*innen aus Griechenland haben den Kampf gegen diese Welt des Individualimus und des Fatalismus gewagt. Immer Seite an Seite mit den Unterdrückten und Ausgebeuteten dieser Erde. Kyriakos hat sein Leben dafür gegeben und steht damit in direkter Reihe mit jenen toten die 1886 in Chicago für den 8-Stunden Tag kämpften, den Kämpfer*innen der spanischen Revolution, den palästinensischen Kämpfer*innen für Freiheit und Würde, den russischen Anarchist*innen, der Stadtguerilla der RAF, der Roten Brigaden und natürlich der griechischen bewaffneten Kämpfer*innen Chrístos Kassímis, Chrístos Tsoutsouvís, Michaíl Préka, Christóforo Maríno und Lámbros Fúntas.
Das Verfahren, der sogenannte „Ambelókipi Fall“ hat seit seinem Bekanntwerden eine internationale Welle der Solidarität ausgelöst in deren Tradition wir auch die heutige Veranstaltung sehen. Darunter Aktionen in Deutschland, Chile, Spanien, Frankreich, der Schweiz, Uruguay, Italien, Großbritannien und Indonesien. Überall auf der Welt entwickeln sich Bewegungen, deren gegenseitige Bezugnahme zeigt, dass die Herrschaft nicht unwidersprochen bleibt, dass es möglich ist, die Geschichte zu verändern und dass das Kapitel des Widerstands noch nicht zu ende ist.
Abschließend möchte Marianna, die über die heutige Veranstaltung hier informiert ist, einige Worte an euch richten:
Genoss*innen,
Anlässlich des internationalen Tags der politischen Gefangenen und der Veranstaltungen die ihr in eurer Stadt organisiert habt, möchte ich euch meine solidarischen Grüße aus dem Frauengefängnis von Korydallos in Athen zukommen lassen. Die Solidarität mit den politischen Gefangenen, wie auch allgemein mit allen Gefangenen, birgt das Potential die Mauern der Isolation einzureißen, eine Brücke zu bauen und das Gefühl des Eingesperrtseins zu überwinden. Ich möchte euch besonders für euer Interesse an unserem Verfahren danken. Einem Verfahren bei dem zusätzlich zur erdrückenden staatlichen Repression in erster Linie das politische und emotionale Gewicht des Verlusts des bewaffneten Kämpfers, unseres Freundes und Genossen Kyriakos Xymitíris, hinzu kommt. Durch euer Interesse gelingt es, den Schmerz des Verlustes zu lindern, indem es die Trauer kollektiviert und die politische Haltung die zu diesem tragischen Ereignis führte bestätigt.
Genossinnenschaftliche Grüße
Marianna M.